Newsletter Spezial – BauGB-Novelle: Was jetzt möglich ist
Mehr Geschwindigkeit, mehr Spielräume, mehr Verantwortung: Wir analysieren die geplante Baugesetzbuch-Novelle exklusiv mit dem Baurechtsexperten Prof. Dr. Mathias Hellriegel und sprechen über urbane Nachverdichtung, die Rolle des Holzbaus – und das Ende der Ausreden.

Ausgabe vom
30. Mai 2025
Skalierbarkeit ist das Neue Bauen
Es hat Strahlkraft, dass die frisch ernannte Bundesbauministerin Verena Hubertz innerhalb von nur drei Wochen einen neuen Referentenentwurf zur Beschleunigung des Wohnungsbaus und zur Sicherung von Wohnraum vorlegt – und diesen direkt zur Kabinettsabstimmung bringt. Diese Entschlossenheit dürfte auch im Koalitionspartner Anerkennung finden.
Für uns als Koalition für Holzbau ist der Entwurf vor allem deshalb relevant, weil er das Planungsrecht in zentralen Punkten für den seriellen und modularen Holzbau öffnet. Von der Aufstockung bis zur Nachverdichtung – und gerade auch mit Blick auf die Möglichkeit, unabhängig von landesspezifischen Bauordnungen in Zukunft - hoffentlich - planen und bauen zu dürfen, ohne in der repetitiven Manufakturplanung stecken zu bleiben.
Wer heute über bezahlbaren und schnellen Wohnraum spricht, muss über industrielle Skalierbarkeit sprechen – und damit über das Neue Bauen.
Im Gespräch mit Prof. Dr. Mathias Hellriegel, Fachanwalt für öffentliches Baurecht, gehen wir den neuen Gesetzentwurf neugierig durch. Wo entstehen neue Spielräume? Wo ist noch Mut gefragt? Und kann der Referentenentwurf die Planungssicherheit und Investitionsbereitschaft abbilden? - eine exklusive erste Einschätzung der dringend notwendigen BauGB-Novelle.
Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre!
Sun Jensch
Interview mit Matthias Hellriegel zur Baugesetzbuchnovelle

Prof. Dr. Mathias Hellriegel (links) im Gespräch mit dem Journalisten Jan Hauser auf der Terrasse des neuen FAZ-Towers in Frankfurt am Main
„Die Ausreden sind jetzt weg“
Ein Gespräch mit Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht Prof. Dr. Mathias Hellriegel über die geplante Novelle des Baugesetzbuchs, neue Spielräume für urbane Nachverdichtung – und das Ende einer lange gepflegten Verweigerungshaltung.
Professor Hellriegel, wie bewerten Sie den vorliegenden Entwurf zur BauGB-Novelle in seiner Grundstruktur?
Er ist ein Befreiungsschlag – jedenfalls, wenn man ihn ernst nimmt. Auf den Entwurf haben wir lange gewartet und er hat den Mut, gesetzgeberische Verantwortung nicht nur zu behaupten, sondern auch zu übernehmen. Vor allem: Der Entwurf vollzieht einen Perspektivwechsel. Weg vom rechtlichen Dürfen, hin zum politischen Können. Bisher war der Standardvorwurf an das Bauplanungsrecht: „Wir würden ja gerne, aber wir dürfen nicht.“ Die Novelle dreht die Verantwortlichkeiten um und gestattet politischen Entscheidern vor Ort nun viel mehr. Das heißt aber auch: Die Ausreden sind weg. Wer weiterhin nicht baut, verhindert den Neubau aus politischem Willen – und nicht mehr aus rechtlicher Machtlosigkeit.
Welche konkreten Neuerungen machen diese Wende möglich?
Die entscheidende Neuerung ist die Erweiterung der Ausnahmetatbestände: Kommunen können künftig auch von den Grundzügen eines Bebauungsplans abweichen – und zwar nicht nur im Einzelfall, sondern auch systematisch, etwa bei serieller Nachverdichtung oder Aufstockung. Diese Möglichkeit ist im § 31 Absatz 3 verankert. Für den unbeplanten Innenbereich kommt ergänzend § 34 Absatz 3a hinzu, der eine Abweichung vom Einfügegebot zulässt. Die Gemeinden können also den städtebaulichen Rahmen verlassen und beispielsweise mehr Höhe oder Dichte zulassen. Beides zusammen ist ein Paradigmenwechsel – vor allem für den modularen, standardisierten Wohnungsbau im Bestand.
Wie ist das rechtlich abzusichern – droht nicht ein Streit über die Auslegung dieser neuen Spielräume?
Natürlich wird es Klärungsbedarf geben. Aber die Formulierungen sind deutlich genug. Entscheidend ist, dass nun auch das Abweichen vom Grundsatz nicht mehr grundsätzlich ausgeschlossen ist – das war bislang die juristische Mauer. Jetzt ist die Regel: Wenn die Gemeinde zustimmt, darf gebaut werden. Das eröffnet rechtssichere Optionen für ganze Nachverdichtungsprogramme, die bislang als „planungswidrig“ abgelehnt wurden.
Was bedeutet das für den Holzbau – insbesondere in modularer oder hybrider Bauweise?
Der serielle und modulare Holzbau braucht Spielräume. Genau die schafft der Entwurf: Aufstockung über bestehenden Gebäuden, Nachverdichtung auf ungenutzten Innenhöfen, flankiert von übergeordneten Bebauungszielen – das ist mit diesem Instrumentarium möglich. Und das ist neu. Der Holzbau ist dabei nicht Selbstzweck, sondern ein weiteres und probates Mittel, um schnell, emissionsarm und industriell vorgefertigt Wohnraum zu schaffen, der skaliert werden kann.
Ein zentraler Streitpunkt war stets der Umgang mit Gewerbelärm – ist hier eine Lösung in Sicht?
Erstmals ja, und diese Lösung ist revolutionär. Die Änderung der TA Lärm und ihre flankierende Verankerung im BauGB ermöglichen es Kommunen, passiven Schallschutz aktiv festzusetzen. Das heißt: Die Kommune kann sagen, was gebaut wird – und der Bauherr ist verantwortlich für den Schutz der künftigen Bewohner. Das entlastet die Unternehmen in bestehenden Gewerbegebieten von einem ständigen Risiko – und schafft zugleich neues Baurecht in städtischen Mischlagen. Damit wird ein Dauerkonflikt entschärft, der bisher viele Projekte blockiert hat.
Wie bewerten Sie die viel diskutierte Regelung des §246e BauGB zur befristeten Wohnnutzung in Sonderfällen?
Sie ist sinnvoll – und notwendig. Dass man diesen Paragraphen braucht, zeigt nur, wie schwerfällig das normale Planungsrecht noch immer ist. Bebauungsplanverfahren, die 10 Jahre und länger dauern oder kurz vor Festsetzung abgebrochen werden, sind den Bauherren und Wohnungssuchenden nicht mehr zumutbar. Auch in der Sache finde ich das gut vertretbar – denn der §246e ist sozusagen ein „Notwehrwehrrecht“, um Blockaden in sehr spezifischen Fällen aufzulösen, ohne das ganze System über Bord zu werfen. Dass er nun bis 2030 gelten soll, steht auch in einem gewissen politischen Gleichgewicht zur ebenfalls verlängerten Mietpreisbremse: Dort wird reguliert – hier wird ermöglicht.
Es gibt Kritik am neuen §36a – etwa, er schaffe mehr Probleme als Lösungen. Was sagen Sie dazu?
Solche Kritik wirkt auf mich eher politisch motiviert als juristisch fundiert. Wer Baurecht will, muss mitwirken – §36a schafft einen Mechanismus, um kommunale Blockaden zu überwinden, ohne die Planungshoheit auszuhebeln. Das ist ein sensibles Gleichgewicht. Und mehr noch: Der Paragraph eröffnet erstmals die Möglichkeit, im Rahmen beschleunigter Verfahren städtebauliche Verträge abzuschließen – und damit verbindlich soziale Anforderungen zu formulieren, etwa die Verpflichtung zur Schaffung bezahlbaren Wohnraums. Das senkt zwar nicht automatisch die Baukosten, aber es schafft Klarheit in der Umsetzung. Wer heute bezahlbar bauen will, braucht genau solche rechtsverbindlichen Spielräume – nicht als Ausnahme, sondern als Regel. Und schließlich: wer der Kommune nichts zurückgeben will, kann heute nicht mehr erwarten, Baurecht zu bekommen.
Und am Ende: Was bleibt als Fazit?
Die Novelle ist sehr weitgehend und sicherlich das Beste, was die Bundespolitik in den letzten Jahren für den Wohnungsbau auf den Weg gebracht hat. Sie schafft neue Optionen, entschärft alte Konflikte und stellt das Verhältnis zwischen Planung, Baurecht und politischem Willen neu auf. Und sie bietet – etwa mit dem neuen § 36a – einen rechtlichen Rahmen, um bezahlbaren Wohnraum in städtebaulichen Verträgen zu sichern. Wer jetzt nicht handelt, kann sich nicht mehr hinter dem Gesetz verstecken. Und das ist, bei aller berechtigten Kritik im Detail, ein Fortschritt.